Wo stehen wir heute?
Die Ausbildung eines Pferdes
Die Ausbildung eines Pferdes ist ein Thema, die jeden Pferdebesitzer betrifft, denn sie bestimmt die weiteren Handlungen am Pferd. Kein Wunder also, das Debatten über die verschiedenen Ausbildungsstile des Pferdes, von großer Leidenschaft und Schärfe geprägt sind. Denn die Reiterwelt ist unerbittlich. Schnell wird gewertet und bewertet – und für diese Angriffe braucht man eine Art Schutzschild. Eine Reitlehre oder die Ideologie einer Ausbildung bietet die an, denn man führt ja mit dem Pferd das aus, was gelehrt wird, und kann damit seine Verantwortung abgeben und auf die „Lehre“ oder vielleicht auch auf den „Ausbilder“ übertragen.
Deshalb zielt mein Einwurf, dass ein Pferd gar keine Ausbildung braucht, ziemlich genau ins Schwarze. Wie ich finde, dienen reiterliche Ausbildungen des Pferdes nur als Vorwand für den Menschen, sich hinter starren, festgefügten Regeln und Vorstellungen zu verwirklichen und – zu verstecken. Das Pferd hat nichts davon. Denn die eigentliche Ausbildung braucht der Mensch.
Merkwürdigerweise hat der Mensch von jeher gedacht, dass das Pferd erst zum Gehorsam „erzogen“ werden muss, damit es ohne Probleme geritten werden kann. So hat der Mensch durch alle Zeiten hindurch versucht, Methoden zu finden, um dem Pferd beizubringen, wie man sich unter dem Menschen richtig „benimmt“, und Verhaltensweisen eingeübt, damit Bewegungsabläufe trainiert werden können. Eigentlich ist es ein Skandal: Wir verformen den Körper des Pferdes und manipulieren so seine natürlichen, biologischen Sinne und Impulse. Was uns am Pferd nicht passt, wird passend gemacht und anschließend behandeln wir dann die ausgelösten Symptome.
Wie geht es dem Pferd?
Eine Ausbildung des Pferdes die im Kern die Machtausübung des Menschen bedeutet (so spielerisch sie manchmal auch dargestellt werden möchte) und auf der Abhängigkeit des Pferdes beruht, ist zwangsläufig offen für die verschiedenen Spielarten der Gewalt. (Gewalt fängt in meinen Augen schon dabei an, was wir den Halswirbeln und dem Genick antun)
Spätestens in kritischen Situationen mit dem Pferd, übernimmt selbst der sanfteste Mensch keine Verantwortung mehr für seine Handeln, im Gegenteil: die Erklärung ist sogar oft, dass das Pferd selber schuld ist, dass so gehandelt werden musste – weil es gezogen hat, Widerstand geleistet hat, nicht „brav“ war. Aber Gewalt ist Gewalt – und beschädigt möglicherweise den Pferdekörper – aber ganz sicher das Vertrauen in den Menschen.
Ja, es fällt uns augenscheinlich schwer, uns aus alten Mustern zu befreien, obwohl man inzwischen weiß, dass das Pferd ganz anders „funktioniert“. Ich frage mich, warum die inzwischen zahlreichen biologischen Erkenntnisse über ein Pferd einen so geringen Einfluss auf die reiterliche Praxis haben – obwohl die überwiegende Zahl der Reiter doch eine tiefe Verbindung zum Pferd sucht oder zumindest anstrebt? Warum kann sich der Mensch nicht von der Vorstellung lösen, das Pferd muss „aktiv“ ausgebildet und zum Gehorsam erzogen werden?
Daraus erkenn ich die Notwendigkeit einer generellen Wende im Umgang mit dem Pferd. Anders können wir nicht ausbrechen aus einem Kreislauf, in dem sich Macht und Gewalt als legitimiertes Ausbildungsmittel historisch fortgeschrieben hat. Es geht eben nicht darum, den Fokus ausschließlich auf das Reiten zu richten, und dabei das Pferd zu vergessen, es zu manipulieren und auf das Pferd einzuwirken, um ein bestimmtes Ziel im Sinne eines erwünschten Verhaltens zu erreichen.
Ausbildung im herkömmlichen Sinne ist doch unnötig und überflüssig. Aber nach wie vor, wollen wir das Pferd zu einem bestimmten Verhalten bringen, nicht selten, indem wir ein anderes Verhalten (das biologische des Pferdes!) mit Macht (manchmal auch gewaltvoll) unterbinden. Wir passen den Körper des Pferdes damit der Vorstellungswelt des Menschen an, und berauben das Pferd dafür seiner Sinne, seiner Potenziale und seiner biologischen Möglichkeiten.
Gelten dann alte reiterliche Weisheiten nicht mehr?
Wenn ich die traditionellen Ausbildungen infrage stelle, dann nicht, um die herkömmlichen Konzepte oder die Fähigkeiten abzuwerten – nein, ganz bestimmt nicht! Die Ausbildung und auch die Erziehung des Pferdes zum Gehorsam hatte früher eine ganz andere Bedeutung für den Menschen. Die hatte bestimmt zu ihrer Zeit ihren Sinn, und ich maße mir nicht an, darüber zu urteilen. Aber wir haben heute eine andere Zeit, und wir müssen das Pferd im Lichte unserer Zeit sehen, wenn wir ihm gerecht werden wollen.
Und es ist leider spür- und sichtbar, dass viele alte reiterliche Überlieferungen für die Bewegungen des heutigen Pferdes in der Umgebung in der es lebt und den Ansprüchen die wir heute an das Pferd haben, keinen Bestand mehr haben und wir die Bewegungen des Pferdes aus einem völlig neuen Blickwinkel heraus betrachten müssen. Es ist von übergroßer Wichtigkeit für das Pferd, wie wir seine Bewegungen im HIER und JETZT sehen und wie der Mensch mit den Bewegungen des Pferdes heute umgehen kann.
Nein, das Pferd braucht keine reiterliche Ausbildung. Denn der reiterliche Fortschritt ist nur eine entstehende Folge von der Geschicklichkeit der beiden Körper innerhalb ihrer Möglichkeiten. Und weil Pferd und Mensch dann ihre Körper immer besser beherrschen und nutzen können, kann der Mensch auf dieser Grundlage immer raffiniertere Bewegungsabläufe ausführen.
Dazu brauchen Pferd und Mensch vor allem die Möglichkeiten, die der Körper sowieso biologisch bereit hält. Logisch, sonst geht es ja GEGEN den Körper – und das macht kein Lebewesen glücklich und ist vor allem nicht sehr gesund – zu mindestens nicht lange. Die Frage ist darum viel eher, wie lange das die Körper aushalten! Das Pferd braucht biologische Bewegungen und keine künstlichen anerzogenen. Es braucht Bewegungen, die das Pferd von seiner Geburt an begleiten, und die durch seine Bewegungsentwicklung bestimmt, was das Pferd braucht, um weiter gesund aufwachsen zu können– unabhängig von Gehorsam und ohne Zwang.
Bewegungen erlernen – nicht Bewegungsabläufe
Während eine reiterliche Ausbildung oder eine Erziehung zum Gehorsam klar definierte, zielgerichtete, „lösungsorientierte“ Handlungen des Reiters beinhaltet (welches Knöpfchen drücke ich, damit das Pferd das tut was ich will) setzt das Erlernen von Bewegungen eine offene Einstellung dem Pferd und dem biologischen Lebewesen Pferd voraus.
Eine solche „Verbindung“ stellt den gemeinsamen körperlichen „Dialog“ und körperlich spürbare Sicherheit in den Mittelpunkt und lebt davon, dass Mensch und Pferd jeweils vom anderen profitieren wollen.(Das ist übrigens im genetischen Herdenverhalten des Pferdes verankert). Aus diesem Grund geht das Pferd freiwillig und bereitwillig eine sehr enge, sehr tiefe Bewegung zum Menschen ein, weil es dann instinktiv spürt, dass seine körperlichen Grundbedürfnisse abgedeckt werden.
Die Verbindung mit dem Pferd
Es scheint für den Menschen nur ein kleiner Schritt zu sein – denn gerade von dieser Seite nähert man sich überraschend schnellfüßig der „Kunst der Reiterei“. Trotzdem ist das Verstehen, was „Verbindung mit dem Pferd“ in der Praxis heißt, und sich darauf einzulassen und sie in einem veränderten Umgang mit dem Pferd zu leben – immer noch schwierig. Vor allem, solange es Vergleiche mit „jahrelang Erprobten“ gibt, das uns gerne an jeder Ecke verkauft wird – natürlich ohne die Spätfolgen im Kleingedruckten.
Das Zögern des Menschen ist nachvollziehbar, denn eine körperliche Beziehung zum Pferd aufzubauen, bedeutet eigene Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung zu übernehmen für das Gelingen des körperlichen Dialoges und des Reitens überhaupt. Sich als „Mensch“ zu zeigen und nicht als machtvoller „Reiter“ bedeutet auch, unsere körperlichen Schwächen selbst zu sehen – daran zu arbeiten und nicht zu umgehen. Das haben wir in unserer Gesellschaft bisher nicht gelernt – wir greifen, sobald etwas „misslingt“ oder wir unsicher werden, reflexartig auf Gewohntes, Gelerntes und Bekanntes zurück. Kein Problem, denn wie oben beschrieben, wird das an jeder Ecke verkauft.
Es gilt, die körperlichen Prozesse, die im Pferd und im Menschen bei Bewegungen ablaufen, für sich sichtbar und bewusst zu machen. Wenn sich im Wandel der Zeit die Erkenntnisse über eine gesunde Bewegungsentwicklung und eine biologische Motorik verändert haben, liegt es an jedem einzelnen, diese Veränderung zu begreifen und sich dafür zu entscheiden. Die Gesellschaft hilft einem da nicht – die bleibt beim Mainstream. Und ja, ich gehe noch weiter. Denn die Arten der Ausbildung und der Erziehung zum Gehorsam sind nicht nur überflüssig, sie richten auch körperlichen Schaden an
Heute sind wir – wie zu keiner Zeit zuvor – in der Lage eine körperliche Verbindung und damit eine ganz andere Beziehung zum Pferd einzugehen, auch wenn es dem lange eingeübten Hierarchiedenken widerspricht. Aber damit stehen wir unseren Bewegungen, uns selber und dem Pferd im Weg.
Heute haben wir zwei Möglichkeiten der „Pferdeausbildung“:
- Möglichkeit Sie lassen sich weiter immer wieder neue Ausbildungsmodelle „verkaufen“ die genau festlegen, was das Pferd wie lange tun muss, was passieren darf und was passieren muss. Die dem Pferd kaum eigene „Bewegungsfreiheit“ ermöglichen und denen das mechanischen Funktionieren des Pferdes zugrunde liegt. Die „fragwürdige“ Beziehung zum Pferd wird dann von dieser Methode oder von den Fähigkeiten einzelner Personen, und nicht von uns selber bestimmt.
Möglicherweise eskaliert das aber, denn allein mit Machtausübung und Strafen und Loben, kommen Sie nicht weiter – und irgendwann, vielleicht nach der gefühlten fünften Methode – stehen sie mit ihrem Pferd an.
- Möglichkeit Der andere Weg – ein Pferd in Eigenwahrnehmung wachsen und entwickeln zu lassen, ist in unserer Gesellschaft sicher noch eine Herausforderung, denn es bedeutet einen körperlichen Prozess in Gang zu setzen, der in erster Linie den Menschen betrifft. Es bedeutet, dass der Mensch bereit ist, sich zu reflektieren die eigene Körperlichkeit zu hinterfragen und vom Pferd hinterfragen zu lassen. Es bedeutet aber auch hinter seinen Schwächen zu stehen, an denen zu arbeiten und sich und seinen Körper damit authentisch zu vertreten.
Für den Menschen bedeutet das, das jede Ausbildung des Pferdes bei ihm selbst beginnt – damit kann er lernen, die Bedürfnisse, Rückmeldungen und Reaktionen des Pferdes anzunehmen. Mit der entsprechenden Vorbereitung der beiden Körper besteht die Möglichkeit, das Pferd gesund in seinen biologischen Bewegungen zu begleiten – bis hin zum durchaus erreichbaren Ziel, das Reiten als Reithandwerk zu erlernen.