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Yong Quan oder den Kopf auf die Füße stellen

Der Schlüssel zu Deinem Kopf liegt übrigens in den Füßen. Klingt erstaunlich? Nicht im Qigong.

Ein Spaziergänger, der im Park Erholung vom Großstadtlärm sucht und den Kopf freibekommen möchte, ist von der Gruppe Qigong-Übender unter der alten Eiche vielleicht vor allem wegen ihrer fließenden Bewegungen fasziniert. Wahrscheinlich wundert er sich auch, was das Geheimnis ihrer entspannten und gleichzeitig klaren Ausstrahlung ist.

Hinter dieser Qualität verbirgt sich eine tiefe Verbundenheit der Übenden mit ihrer inneren Weisheit und Lebenskraft. Dabei hilft ihnen das überlieferte Wissen aus 3000 Jahren Menschheitsgeschichte. Aus diesem bewährten Erfahrungsschatz möchte ich Dir in diesem Artikel ein wichtiges Element vorstellen, das Du wirkungsvoll und unmittelbar in Dein Üben und Deine Lebenspflege (Yangsheng) einfließen lassen kannst: Die Arbeit mit dem Energietor Yong Quan (Yong Chuan, „Sprudelnde Quelle“), einem Akupunkturpunkt auf der Fußsohle.

In diesem Artikel erfährst Du, was eigentlich das Besondere an Yong Quan ist, welche Wirkungen ihm in der chinesischen Medizin zugeschrieben werden, und wie man diesen Punkt sehr einfach für Gesundheit und Wohlbefinden nutzen kann. So viel sei bereits vorab verraten: Die Aktivierung von Yong Quan bewirkt eine ganze Menge. Sie baut Stress ab, verringert Anspannung, senkt den Blutdruck und reguliert die Atmung. Außerdem beruhigt und erfrischt sie den Geist und fördert dadurch die geistige Klarheit.

Akupressurpunkt und Energietor Yong Quan, Sprudelnde Quelle - https://www.tanden-aikido.de/

Noch ein Hinweis zu Beginn: Für uns Westler klingen Aussagen wie „…dann steigt das Holz der Leber zum Kopf, deshalb sollte man Yong Quan einsetzen, um die Niere zu regulieren“ vielleicht erstmal merkwürdig. Wer sich aber auf die Denkweise der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) einlässt, erschließt sich ein ganzheitliches Verständnis davon, wie körperliche und geistige Prozesse sich gegenseitig beeinflussen. Schon ein einzelner Akupunkturpunkt wie Yong Quan wirkt auf vielen verschiedenen Ebenen. Darüber gibt es umfassende theoretische Ausführungen, aber viel wichtiger: im praktischen Üben kann man die Vielschichtigkeit dieser Wirkungen selbst erfahren.

Wie finde ich Yong Quan?

Yong Quan liegt auf der Fußsohle in der Mulde hinter dem Fußballen, die entsteht, wenn die Zehen gekrümmt werden. Wenn man die Fußsohle von der Basis des zweiten Zehs bis zur Ferse in drei Teile unterteilt, befindet sich Yong Quan am Ende des ersten Drittels, zwischen den 2. und 3. Mittelfußknochen.

Was bedeutet der Name Yong Quan 湧泉?

 

Der Name Yong Quan besteht aus zwei Zeichen:

1) yŏng, yong 湧 : Sprudeln, hervorquellen, strömen. Das Zeichen ist zusammengesetzt aus dem Symbol für Wasser und dem einer Blüte, die sich öffnet

2) quán 泉 : Quelle, Geld. Das Zeichen symbolisiert eine Quelle, die aus der Erde sprudelt und Rinnsale bildet, die sich überall hin verzweigen.

Neben „Sprudelnde Quelle“ wird der Punkt auch als Zu Xin – Fußherz oder Dichong – Hauptstraße der Erde, Erdentor bezeichnet. Die verschiedenen Bezeichnungen verdeutlichen sehr gut die zwei Funktionen des Fußes: Zum einen sind die Füße unsere Verbindung zur Erde und geben uns Standfestigkeit, zum anderen liefern die Füße aber auch den Bewegungsimpuls, um unseren Körper aufzurichten und in Bewegung zu setzen.

Yong Quan – erster Punkt auf der Nierenleitbahn

Yong Quan ist der erste Punkt auf dem Nierenmeridian (Ni 1) und der einzige Akupunkturpunkt auf der Fußsohle. Die Nierenleitbahn wird dem Element Wasser zugeordnet. Wie oben schon angemerkt, bezeichnet die Niere hier nicht nur das Organ, sondern einen ganzen Funktionskreis des Körpers mit körperlichen, energetischen und psychischen Aspekten. Dabei ist die Leitbahn ein genauso wichtiger Teil wie das Organ Niere.

Hintergrund: Die Nieren und unsere Ur-Energie

 

Die Nieren sind der Träger unserer Basis-Energie, die allen körperlichen, geistigen und seelischen Aktivitäten zugrunde liegt. Die Nierenenergie gibt uns die Fähigkeit, Stress jeder Art zu ertragen. Auf ihr beruht auch die sexuelle Kraft und Fruchtbarkeit.

Nach den traditionellen Vorstellungen des fernen Ostens erhalten wir diese Energie von unseren Eltern und Großeltern. Durch eine ausgewogene Lebensweise – das heißt in unserer Gesellschaft vor allem ausreichend Schlaf und Erholung sowie gesunde Ernährung – können wir sie täglich auffrischen. Durch eine unnatürliche Lebensweise dagegen schädigen wir sie.

Ist die Balance der Nierenenergie gestört, kann sich das durch verschiedene Symptome äußern. Ständige Müdigkeit und seelische wie körperliche Erschöpfung sind ein deutliches Warnsignal. Manche Menschen klagen vielleicht über eiskalte Füße oder haben starke Schmerzen im unteren Rücken, andere leiden unter sexueller Unlust, Impotenz oder Unfruchtbarkeit. Frühzeitiges Ergrauen der Haare, Hörstörungen und schlechte Zähne können weitere Hinweise sein. Auch Stimmverlust, Trockenheit und Beschwerden in der Kehle können auf Störungen der Nierenenergie zurückzuführen sein, genauso wie Verdauungs- und Ausscheidungsstörungen, da die Nieren die unteren Öffnungen kontrollieren.

Einfluss auf andere Funktionskreise

 

Nach der taoistischen Medizin sind die Funktionskreise nicht isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Daher kann eine Schwäche der Nieren auch Symptome auslösen, die man auf den ersten Blick ganz anderen Organen zuordnen würde – Asthma ist ein anschauliches Beispiel dafür.

 

Niere und Leber

Nach den Lehren der TCM fördern bzw. hemmen sich die fünf Elemente gegenseitig. Analog zu den Prozessen in der Natur benötigt das Element Holz nach taoistischer Vorstellung ausreichend Wasser, um sich zu entfalten. Das Holzelement ist der Leber zugeordnet. Das Wasser der Niere ist demnach wichtig, um das Holz zu fördern, aber auch, um es in der Erde zu verankern. Ist die Nierenenergie zu schwach, um das Holz der Leber zu nähren, steigt dieses auf zum Kopf – Scheitelkopfschmerzen, Schwindel, verschwommenes Sehen, Bluthochdruck und Nasenbluten sind die Folge – im Extremfall auch Schlaganfall und Epilepsie.

 

Niere und Herz

Element des Herzens ist das Feuer. Herz und Nieren unterstützen sich gegenseitig: Das Nieren -Yin nährt und befeuchtet das Herz und gleicht das Herz-Feuer aus; das Herz-Yang sinkt ab, um die Niere zu wärmen. Die Harmonie von Niere und Herz ist eine Grundvoraussetzung für einen stabilen und friedlichen Geist.
Bei Nieren-Yin-Mangel oder wenn die Verbindung zwischen Herz und Niere unterbrochen ist, lodert das Herz-Feuer unkontrolliert. Der Geist wird erregt und aufgewühlt, mit emotionalen Symptomen von Unruhe, Schlaflosigkeit, schwachem Gedächtnis und Neigung zur Angst bis hin zu Wahn und Raserei.

 

Niere und Lunge

Die Lunge (die dem Metall-Element zugeordnet ist) empfängt das klare Qi des Himmels. Bei der Einatmung wird dieses Qi durch die ergreifende und haltende Funktion der Nieren nach unten gezogen. Wenn die Nieren schwach sind und das Qi nicht ergreifen können, kommt es zu Kurzatmigkeit, flacher Atmung, Husten und Asthma.

Wie wirkt Yong Quan?

 

Der Punkt Yong Quan repräsentiert das tiefste Yin – wie der Fisch im bekannten Yin-Yang-Symbol trägt er aber auch den Keim von Yang in sich. Dadurch erklärt sich, dass Yong Quan zwei scheinbar widersprüchliche Funktionen hat:

„Senken, verwurzeln und das Trübe ausscheiden“

Der Yin-Aspekt von Yong Quan senkt die Fülle aus Kopf und Brust, beruhigt den Geist und verbindet den Körper mit der Erde und ist damit ein gutes Mittel gegen Stress, hohen Blutdruck, Angstzustände und Schlaflosigkeit. Die Arbeit mit Yong Quan kann sogar Symptome der Menopause lindern.

„Das Klare heben, nähren und beleben, Erd-Qi aufnehmen, die Nieren-Energie aktivieren“

Wenn die Unruhe beseitig wurde, reinigt und erfrischt der Yang-Aspekt von Yong Quan den Geist, reinigt die Nieren, klärt Hitze, nährt das Yin und wirkt stärkend bei Erschöpfung. Der Punkt kann auch zur Wiederbelebung bei Ohnmacht und Bewusstlosigkeit angewendet werden, um das Yang wieder zu aktivieren.

Akupressur von Yong Quan

 

Zu Beginn einer Qigong-Stunde nutzen wir die Massage von Yong Quan als Einstieg, um die Alltagshektik hinter uns zu lassen und ganz im Dojo anzukommen. Diese Technik ist auch hervorragend geeignet, um nach einem anstrengenden Arbeitstag das Gedankenkarussell zu beruhigen, oder um im Büro zwischen zwei Meetings auch ohne Spaziergang im Park den Kopf freizubekommen.

Bei Schlaflosigkeit kann es helfen, vor dem Schlafen beidseitig Yong Quan zu massieren oder ein warmes Fußbad zu nehmen.

Anwendung im Qigong

 

Um die Wirkungen von Yong Quan zu erfahren, braucht es keine komplizierten Qigong-Übungen. Es reicht schon, im Stehen die Aufmerksamkeit auf Yong Quan zu richten oder in der Vorstellung durch die Fußsohlen ein- und auszuatmen. Dies hilft, sich zu verwurzeln, das Qi in das Dantian zu senken und die Energie der Erde zu absorbieren. Diese Effekte stellen sich allerdings nicht beim ersten Mal ein – es braucht etwas Geduld und Beharrlichkeit, um Yong Quan tatsächlich spüren und bewusst ansprechen zu können. Je mehr Du übst, desto intensiver werden die Effekte – irgendwann weißt Du, wie sich „glückliche Füße“ anfühlen und erfährst einen Zustand, in dem Du Dich gleichzeitig entspannt-frisch und zentriert fühlst.

Text und Bild von:
https://www.tanden-aikido.de/yong-quan-sprudelnde-quelle/

 

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